Schreiben an Bundespräsident
Der Bundespräsident
Frank Walter Steinmeier Spreeweg 1
10557 Berlin
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Offener Brief
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
wie der Presse zu entnehmen ist, haben die größeren Parteien im Bundestag Abrede getroffen, die am Montag anstehende Vertrauensfrage scheitern zu lassen und zwar mit dem Ziel, Neuwahlen zu veranlassen für den 23.2.2025. Die Neuwahl erscheint als solche nachvollziehbar. Nicht so ohne Weiteres unproblematisch erscheinen hingegen Termin und Regelungen zum Wahlverfahren selbst.
Das Innenministerium hat verlauten lassen, ungeachtet der Weihnachtstage, für die Aufstellung von Direktkandidatinnen und Direktkandidaten sowie für die Zulassung der Parteien knappest mögliche Fristsetzung festzusetzen und die Anforderungen an Anzahl Unterstützerstimmen in unbeschränktem Umfang aufrecht zu erhalten. Insbesondere ist weder eine Senkung der erforderlichen Quoren vorgesehen, noch die Erleichterung der Einreichung, also dass etwa anstelle der Einrichtung von jeweils separaten Unterschriftenlisten in jedem einzelnen Wahlkreis elektronische Einreichung von Unterschriftenlisten ermöglicht würde.
Weiter beachtlich scheint, dass diese Abläufe und Verfahren offenbar nicht etwa aus Entscheidung des Bundeskanzlers sein könnte, der hier ein sinnhaftes Verfahren mit Vertrauensfrage in der zweiten Januarwoche ankündigte, wegen seiner Vermutung ohne Mehrheiten nicht mehr handlungsunfähig zu sein, sondern ein letztlich von unter drei Parteien aus parteipolitischen Interessen ausgehandeltes und den übrigen Parteien aufgezwungenes Verfahren sein dürfte. Immerhin werden noch in diesen Tagen zahlreiche Gesetze verabschiedet.
Schon von daher kursiert in zahlreichen Medien die Spekulation, dass anscheinend neu entstehende ‚Große Koalition‘, die bereits jetzt eine Mehrheit hat, entschieden hat, sich neu wählen zu lassen, und es wird diskutiert, ob die CDU nicht diesen vorgezogenen Wahltermin erzwungen hat, um der FDP mit Schützenhilfe bei den Wahlen zu bieten, damit sie die Option einer schwarz-gelben Regierungsbildung haben könnte.
Zudem dürfte darauf hinzuweisen sein, dass mit dem Wahltermin am 23.2.2025 wohl nur eine Frist von einer Woche bestehen wird, um Briefwahl durchzuführen. Wegen der nunmehr zulässigen Frist von drei Tagen für die Zustellung von Wahlbriefunterlagen reduziert sich diese Frist in Einzelfällen möglicher Weise auf nur zwei bis drei Tagen. Außerdem wurde ein Wahltermin ausgewählt, an dem wegen Schulferien in zwei Bundesländern, die für die kleineren Parteien von besonderer Bedeutung sind, nämlich im Saarland und in Sachsen, ein bedeutender Teil der Wählerschaft kaum an den Wahlen teilnehmen kann. All diese potenziell negativen Einflüsse auf eine ordnungsgemäße Bundestagswahl wären bei Wahlen einer Woche später, also am 30.2.2025 so nicht mehr gegeben.
Weiter haben die Klein- und Kleinstparteien Bedenken geäußert und darauf hingewiesen, dass der sehr hohe Aufwand, die kurzen Fristen und die Erfordernis, über die Weihnachtstage handeln zu müssen, sie vor große Herausforderungen stellen wird und ihre Kräfte in einem Umfang beanspruchen würde, dass in der Folge ein geordneter Wahlkampf kaum noch geführt werden könne. In der Folge könnten sie, selbst wenn es ihn gelänge, die erforderlichen Stimmen zu sammeln um auf Bundesebene und in allen Wahlkreisen mit Direktkandidaten anzutreten, danach erheblich im Wahlkampf beeinträchtigt sein. Insgesamt dürfte das Potenzial der Wählerstimmen für die kleinen Parteien bei insgesamt 4,5% und bis zu 9% liegen. Dies wäre ein nicht irrelevanter Anteil der Wahlberechtigten.
Das Problem ist auch in der Praxis nicht irrelevant, denn angesichts der jüngsten Wahlergebnisse des BSW, einer neu gegründeten Partei, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass einige der Kleinparteien auf Bundesebene Chancen haben werden, die 5%-Hürde zu überspringen oder drei Direktmandate zu erreichen. Zudem könnte Zulassung oder Nichtzulassung kleiner Parteien erhebliche Auswirkungen auf die Wählerstimmen insbesondere der FDP haben, da nahezu alle zulassungspflichtigen Kleinparteien dem politisch liberalen Spektrum zuzuordnen sind. Insgesamt gesehen steigern diese Faktoren die Chancen des konservativen rechtsliberalen Spektrums und in Sonderheit das Stimmgewicht ihrer Wähler. Sollte der FDP gelingen, die 5% Hürde knapp zu überspringen, dürfte somit erheblicher Zweifel begründet sein, ob das Wahlergebnis nicht durch Beeinträchtigungen der Kleinparteien in entscheidender Weise verzerrt wurde.
In tiefer Sorge wende ich mich an Sie mit der Bitte zu überprüfen, ob sich hier nicht allzu viele Sachverhalte verbinden, sowohl an der ordnungsgemäßen Beantragung der Neuwahl als auch an ordnungsgemäßen Regularien für die Zulassung zur Wahl und schließlich sogar am verfassungsgemäßem Ergebnis der Wahlen zu zweifeln.
Die von einzelnen Parteien vorab gestimmte Vorgehensweise, verbunden mit offenkundigen Nachteile einzelner Akteure, die verkürzten Möglichkeiten der Beteiligung durch Briefwahl und der Wahltermin während Ferienzeiten könnten erhebliche Zweifel an ordnungsgemäßer Wahl begründen. Es könnte begründbarer Verdacht entstehen, staatstragende Parteien hätten die in der Verfassung geregelten Verfahren für Neuwahlen gezielt verletzt um eine ihnen genehme Wahlergebnisse zu erreichen, dabei andere Parteien behindert und das undemokratische Ziel angestrebt, mit niedriger Wahlbeteiligung und hohem Anteil an Nichtwählerinnen und Nichtwählern die Wahlstimmen eines bestimmten Teils der Bevölkerung aufzuwerten. Im Ergebnis könnte das in sehr erheblichen Maße das Vertrauen in die demokratische Verfasstheit unseres Staatswesens beeinträchtigen.
Angesichts all dieser offenkundigen Bedenklichkeiten besteht nicht von der Hand zu weisendes Risiko, dass das Verfassungsgericht entscheiden muss, die Neuwahlen ganz oder teilweise wiederholen zu müssen, was angesichts der aktuell besonders herausfordernden wirtschaftlichen und weltpolitischen Gesamtlage schweren Schaden für unser Gemeinwesen heraufbeschwören könnte.
Somit könnten mannigfaltige Gründe vorliegen, das Ersuchen des Bundeskanzlers auf Neuwahlen und Wahlen für den Wahltermin 23.2.2025 ablehnen zu müssen. Es fragt sich, ob der Bundespräsident hier nicht auf die wesentlichen Akteure einwirken könnte und sogar müsste, um eine faire, freie und auch rechtlich nicht zu beanstandende Wahl durchzuführen.
Es erscheint jedenfalls beachtlich, ob nicht mindestens eine Verschiebung der Wahl um eine Woche, auf den 30.2.2025, erforderlich wäre, damit keine Bürger durch Ferien und knappe Fristen für Briefwahl beeinträchtigt sind, dies umso mehr, als dass dann teure zwei Wahlen innerhalb von 1 Woche vermieden würden. Weiter könnte, wenn denn schon einige größere Parteien die Verfassung kreativ interpretieren, damit die gewünschten Neuwahlen überhaupt durchgeführt werden können, doch die Rücksprache mit der Innenministerien angezeigt sein, um die für die Beteiligung an der Wahl erforderlichen Quoren abzusenken, damit Beeinträchtigung der kleinen Parteien durch die vorgezogenen Wahlen sicher auf ein zumutbares Maß beschränkt würde, was im Ergebnis auch die nicht von der Hand zu weisenden Gefährdung begrenzen würde, dass ein Normenkontrollverfahren zur Nichtauszählung der Wahl oder zu Neuwahlen führen würde.
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